Anne M. und ihr vierjähriger Sohn Noah sind tot. Die Staatsanwaltschaft geht von Mord aus. Der Angeklagte behauptet, eine geplante Entführung seines Kindes sei “schief gegangen”.
Am Mittwoch hat der Mordprozess gegen einen 53-jährigen Freiburger begonnen. Unter Tränen beschrieb Nasr-Eddine B. seine grausame Tat.
Aussage des psychiatrischen Gutachters zur Aussage des Angeklagten zur Tat
15.35 Uhr: Der psychiatrische Gutachter Franz-Xaver Regel trägt nun vor, was der Angeklagte ihm im Rahmen der Exploration zur Tat geschildert hat. B. habe sich zunehmend unverstanden gefühlt, die Verantwortung für das Kind zu tragen. Ende 2015 habe B. sich zur Trennung entschlossen. Es habe viele Emotionen gegeben, man habe sich jedoch geeinigt, für Noah die Trennung zu organisieren. Ende 2016 soll es ein Treffen von Anne M. mit ihrem Vater gegeben haben; B. nahm an, dass die beiden einen eigenen, heimlichen Auszugsplan gemacht hätten. Anne M. begann mit dem Packen ihrer Sachen. Am 5. Mai 2017 habe B. einen Rucksack entdeckt, der Sachen von Anne und Noah M. enthielt. Er habe ihr gesagt, sie könne nicht einfach so ausziehen. Sie habe ihm gesagt, dass sie die Polizei rufen werde, und sagen würde, dass er sie bedrohe. Die Polizei kam, die Situation war ruhig, Anne und Noah verließen die Wohnung. Eine Bedrohung “dass das blutig enden würde”, habe er nicht ausgesprochen. “Wir haben gegeneinander gekämpft, als ich gesehen habe, dass sie blutet, bin ich rausgegangen.” Nasr-Eddine B. über den Angriff im Auto
Am 6. Mai hätten Familienmitglieder die Sachen von Anne und Noah M. aus der Wohnung entfernt. Im Anschluss hätte ein “Marsch durch die Institutionen” stattgefunden, um wieder Kontakt zum Sohn zu bekommen. “Das belastete ihn schwer”, sagt Regel. Im Juni heiratete er die Cousine. Am 20.Juli gab es ein einziges Treffen mit dem Sohn unter Aufsicht. Landsleute hätten gesagt dass es sehr schwer für Männer aus Nordafrika sei, Kontakt zu den Kindern zu halten; sie würden vor Gericht nicht gut bewertet. Als Reaktion darauf habe er den Plan entwickelt, Deutschland zu verlassen. Er habe geplant, über Mulhouse nach Algerien mit Noah zu fliegen. Hass auf Anne M. habe er nicht entwickelt.
B. habe in Folge geplant, Noah zu entführen. Er mietete ein Carsharing-Auto, packte Sachen für Noah und fuhr nach Teningen. Der Plan sei gewesen, ihr den Weg zu versperren und ihr mit dem Messer zu drohen und sie mit Handschellen am Lenkrad zu fesseln und mit Noah nach Frankreich und dann nach Algerien zu fliegen. Doch alles sei “schief gelaufen”. Sie habe ihn mit dem Wagen gerammt, er sei ausgestiegen, habe versucht die Autotüren zu öffnen. Das sei nicht möglich gewesen, dann schlug er insgesamt drei Scheiben des Autos ein, kletterte durch das hintere Fenster auf der Beifahrerseite ins Auto. “Wir haben gegeneinander gekämpft, als ich gesehen habe, dass sie blutet, bin ich rausgegangen.” “Draußen habe ich von den Leuten gehört: “Das Kind, das Kind.” An die Tötung seines Kindes habe er keine Erinnerung. “Ich habe meinen Sohn nicht getötet. Ich habe meinen Sohn nicht getötet”, habe er in der Exploration gesagt und heftig geweint. “Mein Leben ist kein Leben, ich kann gar nicht leben. Ich habe meinen Mensch getötet, zwei Menschen umgebracht. Was ich danach, was ist nach dem Tod. Gott verzeiht mir das nicht. Mein Sohn, mein Sohn.”
Richter Matthias Schliebitz hat eine Nachfrage zu den Aussagen in Bezug auf die Zeugen. Regel trägt noch einmal aus der Exploration vor: “Ich war nicht ganz drin mit dem Körper. Draußen habe ich von den Leuten gehört.” Der Angeklagte selbst erklärt: “Ich habe ihn nicht von drinnen gehört.” Aussage des psychiatrischen Gutachters über die biographischen Angaben des Angeklagten
15.16 Uhr: Die Beweisaufnahme beginnt. Der psychiatrische Gutachter Franz-Xaver Regel sagt als Zeuge aus. Der 55-Jährige ist Oberarzt am ZfP Emmendingen. Er gibt jetzt die Biographie des Angeklagten wieder, so wie sie ihm im Rahmen der Exploration geschildert wurde. Nasr-Eddine B. wurde 1965 geboren und wuchs als einziges Kind seiner Eltern auf. Die Ehe der Eltern war unglücklich, wurde bald geschieden. Die Mutter erhielt das Sorgerecht, der Vater kein Besuchsrecht. Als Kleinkind wurde er für einige Jahre bei Verwandten untergebracht, kam erst mit fünf Jahren wieder zu seiner Mutter. Die Kindheit sei überschattet gewesen von der Angst, der Vater könne ihn entführen. Erst, als er im Grundschulalter war, kam wieder Kontakt zum Vater zustanden. Im Alter von elf oder zwölf sei er mit seiner Mutter gar gezwungen gewesen, zu betteln. Als Teenager zog er ins Haus des Vaters. Nach dem Abitur begann er eine Ausbildung als Krankenpfleger, auch um seine Mutter finanziell zu unterstützen. Ende der 80er Jahre verkrachte er sich mit dem Vater, unternahm 1989 zwei Suizidversuche. Aus einem Gefühl der Einsamkeit heraus, habe er sich damals vermehrt der Religion zugewandt. “Herr B. fühlte sich als einziger verantwortlich für das Kind.” Angabe des Angeklagten gegenüber dem psychiatrischen Gutachter
Eine erste Heirat ging der Angeklagte 1996 ein, 1997 kam eine Tochter zur Welt. Die Ehe zerbrach 1999, Kontakt mit der Tochter bestand bis 2010. Im Jahr 2000 verließ er Algerien, ging zunächst nach Frankreich, kam dann nach Deutschland. 2002 traf er in Emden eine Frau, die er heiratete. 2004 arbeitete er als Pfleger, musste die Stelle bald aufgeben; arbeitete danach bei VW als Zeitarbeiter. Anschließend wurde er krank mit Rückenschmerzen, hatte auch psychische Probleme. 2009 zerbrach die Ehe und wurde geschieden. B. konnte nicht mehr als Pfleger arbeiten. 2009 begann er eine Umschulung zum Pflegedienstleiter, in deren Rahmen er Anne M. kennenlernte. Die Beziehung begann, man hatte Pläne, sich gemeinsam mit einem Pflegedienst selbständig zu machen. Doch gesundheitliche Probleme durchkreuzten die Pläne; B. wurde Hausmann. Anne M. wurde schwanger. Am 19. Juni 2013 wurde Noah geboren. Der Junge war krank, brauchte intensive Betreuung. Anne M. habe sich nicht ausreichend um das Kind kümmern können oder wollen, so der Eindruck des Angeklagten. “Herr B. fühlte sich als einziger verantwortlich für das Kind”, trägt Regel vor. Ende 2013 habe B. noch einen Arbeitsversuch unternommen, nach drei Monaten habe er die Stelle jedoch verloren. Die Beziehung zum Sohn sei wichtig gewesen. “Er habe bei Noah alles wieder gut machen wollen, was er bei seiner Tochter falsch gemacht habe.” B. habe noch einmal gearbeitet, der Plan, einen Pflegedienst in Emmendingen zu kaufen, habe sich zerschlagen. Die Kita-Zeiten von Noah seien verringert worden, damit er mehr Zeit mit dem Kind habe verbringen können. Nach 2015 arbeitete er nicht mehr. Von seiner Partnerin habe er mehr erwartet. Sie hätte kochen sollen, nicht so faul sein. “Weil es da keine Entwicklung, keine Verbesserung gegeben hätte, hätte es 2015 einen gemeinsamen Entschluss zur Trennung gegeben.”
“Entspricht das den Tatsachen?”, will Richterin Kleine-Cosack vom Angeklagten wissen. “Ja”, sagt er.
Michael Moos hat eine Frage: “Hat er mal davon gesprochen, dass die Wohnung in der Zähringer Straße gekündigt wurde?” “Nein”, sagt Regel. “Er beschrieb, dass er beim Renovieren war, als er die gepackte Tasche sah.” Moos erläutert: “Der Vermieter hatte sie nicht akzeptiert, weil Herr B . nicht unterschrieben hat.” B. mischt sich sein, er habe diese Kündigung nicht unterschrieben. Anne M. habe im April und Mai keine Miete mehr bezahlt, daraufhin habe die Vermieterin gekündigt. Er habe die Mieter aber bezahlt, daher sei das Mietverhältnis nicht gekündigt gewesen, sagt B. Aussage einer Freundin von Anne M.
K. war eine Freundin von Anne M. Sie lernte Anne M. 2013 beim Rückbildungskurs nach der Geburt der Kinder kennen. “Wir haben uns immer wieder im Stadtgarten getroffen”, sagt sie. Mit einer weiteren Frau hätte es eine feste Gruppe mit drei Müttern und Kindern gegeben. “Wegen der Kinder haben wir viel Zeit miteinander verbracht.” Die Kinder seien auch gemeinsam in der Kita gewesen. 2014 habe sie auch den Angeklagten kennengelernt, zuerst flüchtig. “Anne hat sich viel gefreut und war fröhlich, aber wenn B. dabei war, war sie ruhiger.” “Sie hat ab dem 1. Mai 2017 gelebt, als wenn es der letzte Tag wär.” Freundin von Anne M.
“Sind Sie selber mal Zeugin von Konflikten geworden?” will Richterin Kleine-Cosack wissen. “Nicht direkt, nein.” “Was hat Frau M. Ihnen denn zur Beziehung zu Herrn B. gesagt?” K. beschreibt, was Anne M. über die ungewollte Schwangerschaft mit Noah erzählt hatte und von einem Erlebnis in Algerien, bei dem B. jemanden geschlagen haben soll. Sie habe ihr auch die SMS an die Mutter mit der Morddrohung gezeigt und dass er verboten habe, jemals wieder ihre Mutter zu sehen, besonders mit Noah. Körperliche Gewalt habe es nicht gegeben. “Er war zwar sehr streng, aber auch wie eine Glucke”, sagt K. B. habe Anne M. mit den Worten “Das wird blutig enden” gedroht.
“Wenn Sie zusammenfassen müssten: Warum hat sich Anne M. getrennt?”, will die Vorsitzende Richterin wissen. “Die ganzen Morddrohungen, der Psychoterror, ich bringen Deine Mutter um, oder Dich, oder Noah. Das wollte sie nicht mehr.” Anne M. habe ihre Auszugspläne verheimlicht. Sie habe nicht weit weg fliehen wollen, um Noah nicht aus seiner bekannte Umgebung zu reisen. Sie hatte auch zu viel Angst, bei einer Flucht etwa nach Kanada zu Verwandten, dass B. ihren Eltern etwas antun würde.
“Hat er mal gesagt, warum er die Trennung nicht wollte?” will Kleine-Cosack wissen. “Wegen der Ehre”, sagt K. Das habe Anne M. ihr so gesagt, es aus dem Verhalten des Angeklagten geschlossen. Anne M. habe gehofft, dass Nasr-Eddine B. einlenken würde, dass er akzeptiert, dass Menschen sich trennen. “Sie hat ab dem 1. Mai 2017 gelebt, als wenn es der letzte Tag wär”, sagt die Freundin unter Tränen. K. beschreibt Anne M.s Angst im Alltag, etwa wenn ein Auto längere Zeit hinter ihr hergefahren ist. “Sie wollte die Angst nicht wahrhaben, leben, als wenn alles gut wäre.” Anne M. sei eine sehr kontrollierte Frau gewesen, aber nachdem sie sich geöffnet hatte, sei sie offen und fröhlich gewesen.
K. beschreibt, wie sie Anne und Noah M. nach dem Auszug beherbergt hat. Sie sei glücklich gewesen, dass sie es geschafft hatte, aber sei hin- und hergerissen gewesen, wie es eben so sei, wenn man eine neue Lebensphase beginne.
Richterin Kleine-Cosack fragt, ob Anne M. etwas von der religiösen Hochzeit mit dem Angeklagte erzählt habe. “Sie hat das mitgemacht, weil sie ihm gefallen wollte”, sagt K.
“Hat sie mit Ihnen mal über Todesangst gesprochen?”, will Richter Matthias Schliebitz wissen. “Ja, sehr oft,” sagt K. Sie habe immer Angst gehabt, dass B. eines Tages gewalttätig werden würde und auch über ihre bevorzugte Bestattungsart geredet: sie habe verbrannt werden wollen, weil das im Islam verboten sei.
Eine absurde Situation entsteht: Der Angeklagte befragt die Zeugin direkt und geht sie kritisch an, was ein Datum angeht, an dem er selbst in Algerien gewalttätig gegenüber einem Dritten geworden sein soll und warum Anne M. dies bei ihrer Klage nicht angegeben hätte. Die Zeugin behält die Fassung, lässt sich nicht aus der ruhe bringen. Richterin Kleine-Cosack greift ein. “Sie können nur beantworten, was Sie wissen”, sagt sie. Dann ist die Zeugin entlassen. Aussage des Familienberaters R.
Der Zeuge R. ist Psychologe und Mitarbeiter der Familienberatungsstelle Emmendingen. Eine Mitarbeiterin des Jugendamts habe B. an die Beratungsstelle verwiesen. R. beschreibt, was B. ihm über den eigenen Fall erzählt habe: seine Lebensgefährtin habe die Beziehung in egozentrischer Absicht beendet und habe die Polizei involviert und ein Gewaltschutzverfahren erwirkt. “Ein Vater, der eine gute Beziehung zu seinem Kind hat und eine Frau, die unbekannt verzieht und wo kein Umgang möglich ist wegen der Gewaltschutzgeschichte”, sagt R. “Da wollte ich mich professionell bemühen.”
B. habe erzählt, er halte die Frau für nicht geeignet, das Kind großzuziehen. “Es kam bei mir als Schilderung an, dass sie das Kind in niederträchtiger Absicht entzogen hätte.”
“Welches Ziel hat der Angeklagte verfolgt? Wollte er Kontakt zum Sohn haben oder den Sohn haben?”, fragt Richterin Kleine-Cosack. “Er war als Vater verletzt und betroffen, dass er keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn hatte.” Er sei betroffen und aufgebracht gewesen, sein Ansinnen sei klar gewesen. “Ich war positiv überrascht, weil ich dachte: der ist integriert, der weiß, wie die Wege laufen, der kriegt das vielleicht auch hin.” Gefahr für Kindesmutter und Kind habe er nicht für möglich gehalten.
Nebenklagevertreter Moos hat eine Nachfrage an den Zeugen: “Wie passt das zusammen?” “Das passt doppelt nicht zusammen”, sagt R. “Dazu kann ich mich nicht äußern, nur spekulieren.” Fortsetzung der Aussage des Angeklagten
13 Uhr: Der psychiatrische Gutachter Franz-Xaver Regel hat für den Angeklagten in der Verhandlungspause ein Medikament geholt. Die Pause wird verlängert, damit es wirken kann. Die Verhandlung wird nach 20 Minuten fortgesetzt. “Frau M. lag am Ende mit dem Kopf im Fußraum. Wie hat sie da mit Ihnen gekämpft?” Frage von Richter Matthias Schliebitz
Die Vorsitzende Richterin steigt wieder in die Befragung ein. Wie oft habe B. auf Anne M. eingestochen?Habe er Zeugen bemerkt? “Können Sie sich daran erinnern, dass jemand Sie angefasst hat, oder versucht hat, Sie aus dem Auto zu ziehen?”, fragt sie. “Ich habe nichts mitbekommen”, sagt B. Er habe auch nicht mitbekommen, wie er aus dem Auto gekommen sei, nicht mitbekommen, dass andere Personen auch eine Scheibe eingeschlagen hätten. “Noah hat gerufen ’Papa, Papa’!”, sagt B. nochmals. Kleine-Cosack: “Können Sie sich daran erinnern, dass Sie auf Noah eingestochen haben?” B. spricht unverständlich, weint wieder. An seinen Zustand unmittelbar nach der Tat könne er sich nicht erinnern. “War Ihnen klar, was Sie gemacht haben?”, fragt die Richterin. “Ich habe das Blut gesehen. Ich habe nicht gedacht, dass das so schlimm ist, dass Anne und Noah sterben.” Er habe danach nach Hause gewollt, seine Papiere holen und weglaufen. “Wären Sie dann alleine nach Straßburg?”, fragt die Richterin. “Ich wollte nach Frankreich”, sagt B.
Richterin Kleine-Cosack ist mit ihrer Befragung fertig. Richter Matthias Schliebitz will mehr zur Tatausführung wissen. Er fragt nach, wie B. zugestochen hat. Er lässt in seiner Befragung nicht nach: “Was haben Sie dann gemacht?”, fragt er mehrfach. B. gerät bei seiner Aussage ins Rudern. “Frau M. lag am Ende mit dem Kopf im Fußraum. Wie hat sie da mit Ihnen gekämpft?”, fragt der Richter. “So wie ich es in meiner Erinnerung habe, war sie auf dem Beifahrersitz, nicht auf dem Boden”, sagt B. “Und wo waren Sie?”, will Schliebitz wissen. “Wie hat sie Sie denn da getreten?” “Zwischen den Sitzen durch?” “Ich war zwischen dem Fahrer und dem Beifahrersitz”, sagt B. “Sie hat auf mein Gesicht und den Kopf gezielt und Tritte in den Schulterbereich bekommen.
“Sie haben gesagt Noah hat ’Papa Papa’ geschrien, was haben Sie dabei gedacht?”, fragt der Richter. “Ich habe nichts gedacht und nichts gefühlt”, sagt B., er sei kein Kämpfer. “Nach einer Zeugenaussage soll er ’Nein, Papa, Nein!’ geschrien haben, können Sie sich daran erinnern?”, fragt der Richter. “Der Noah war vier Jahre alt. Der hat das nicht verstanden, was passiert ist. Das habe ich nicht von ihm gehört. Was ich in Erinnerung habe, ist, dass er zwei Mal Papa gesagt hat.” “Sie haben gesagt, Sie wollten zunächst Noah entführen. Wann haben Sie diesen Plan aufgegeben?” “Nachdem ich ihr Blut gesehen habe, war mir klar, dass das nicht möglich ist.” “Bis dahin wollten Sie den Plan noch verwirklichen?” “Ich wollte das verwirklichen ohne Blut”, sagt B.
Auch Richter Daniel Fehrenbach hat noch Fragen. “Warum hatten Sie denn eine Perücke dabei?”, fragt er. “Um nicht erkannt zu werden”, sagt er. Er habe sie kurze Zeit aufgehabt und sie fast immer dabei gehabt in der Zeit, in der er Anne M. beobachtet habe. “Dich kann nur Tod ändern, von Dein Fehlern hast nichts gelernt. Dich kann man nur mit ein Hammer oder ein Kugel in Kopf helfen. Du kannst mich aus dem Arsch lecken.” SMS des Angeklagten an die Mutter von Anne M.
Staatsanwalt Tomas Orschitt hat Nachfragen zum Tatplan, will wissen, warum B. den Pass von Noah nicht dabei hatte. B. beschreibt, dass er eine Tasche gepackt habe und diese in der Wohnung gehabt habe. “Wenn das alles so geplant war, warum haben Sie Noah nicht mitgenommen?” “In dem Moment, wo ich Blut gesehen habe, habe ich den Plan aufgegeben”, sagt B. “Warum haben Sie das Messer mitgenommen?”, will Orschitt wissen. “Ich wollte sie unter Druck setzen. Ich hatte ein Messer zuhause, deswegen habe ich es benutzt.”
Nebenklagevertreter Michael Moos ist an der Reihe: “Wenn Sie vorhatten, Noah zu entführen, warum haben Sie das nicht sofort gemacht? Warum nutzten Sie nicht die Situation, das Kind so schnell wie möglich über die Grenze zu bringen?” B. kommt kann nicht antworten. Verteidiger Malek greift ein. “Mein Mandant wollte Frau M. für einige Stunden in der Wohnung aus dem Verkehr ziehen”, sagt Malek. “Dieser Plan ist in sich logisch.” Moos ist mit dem Einwand nicht zufrieden. “Wenn es im Vordergrund stand, das Kind zu entführen, frage ich mich, warum Sie diesen Plan nicht zielstrebig durchgeführt haben.” B. beschreibt noch einmal den angeblichen Tatplan, erklärt wie er Anne M. in die Wohnung in der Zähringer Straße bringen wollte. Moos will wissen, ob die Messer neu gekauft waren und verweist auf Verpackungen, die im Auto lagen. Ob es eins, oder zwei war. B. gibt keine klare Antwort.
Dann liest Moos eine SMS vor, die seine Mandantin, Anne M.s Mutter, vom Angeklagten bekommen hat. “Dich kann nur Tod ändern, von Dein Fehlern hast nichts gelernt. Dich kann man nur mit ein Hammer oder ein Kugel in Kopf helfen. Du kannst mich aus dem Arsch lecken.” Moos liest eine zweite, spätere SMS ähnlichen Inhalts vor. “Sie haben Scheiben eingeschlagen, hätte sie sagen sollen: ’Dino, setz Dich zu mir?’” Nebenklagevertreter Rudolf Fenn
Nebenklagevertreter Fenn fragt nach, warum der Angeklagte überrascht gewesen sei, dass Anne M. sich gewehrt habe. “Sie haben Scheiben eingeschlagen, hätte sie sagen sollen: ’Dino, setz Dich zu mir?’” Anne M. habe sich nie gewehrt, in keiner Lebenssituation. “Da muss ich Ihnen widersprechen, sie hat einen Anwalt engagiert, damit sie ein Annäherungsverbot gegen Sie erwirkt. Das ist doch schon Wehren”, sagt Fenn. B. gerät wieder ins Rudern. Das sei keine Form körperlichen Wehrens. “Sie sind davon ausgegangen, dass sie mitgeht, kommentarlos, ohne zu rufen, ohne zu schreien?” “Ja, davon bin ich ausgegangen”, sagt B. “Von der Anne habe ich sowas nicht erwartet.”
Der psychiatrische Sachverständige Franz-Xaver Regel hat ebenfalls noch Fragen, will mehr zum Treffen mit Noah rund eine Woche vor der Tat wissen, wie es danach weitergehen sollte. Es habe ein Treffen gegeben, bei dem ebendies besprochen wurde. “Das Annäherungsverbot ist rechtskräftig geworden, genau als sie zur Tat geschritten sind”, sagt Regel. “Wann haben sie davon erfahren?” Malek greift ein. “Ich glaube, er hat nicht verstanden, was rechtskräftig heißt.” Regel fragt nach. “Hatten Sie nicht am 27. einen Brief im Briefkasten, in dem das drin stand?” B. kann sich nicht erinnern, aber antwortet wortreich. Regel fragt noch einmal nach, warum der Angeklagte am Tag nach einem Termin, bei dem es so aussah, als wenn er ab jetzt den Sohn wieder mehr sehen könnte, einen Entführungsversuch gestartet habe. Nasr-Eddine B. behauptet, er habe keine Hoffnung durch den Termin geschöpft, er habe nichts konkretes in der Hand gehabt. Regel hat eine letzte Frage. “Sie sagen, Sie hätten eine Tasche für Noah vorbereitet, damit er gut versorgt ist.” “Seine Medikamente, Windeln, Kindergetränke”, sagt B. “Wechselkleidung, das weiß ich nicht.” Dieser Koffer habe sich in der Wohnung befunden.
Auch sein Strafverteidiger hat noch Fragen. “Wir haben hier abgebrochen bei der Darstellung, was vor Mai passiert ist.” Malek will wissen, ob Anne M. bei einem Familiengerichtstermin eine falsche Aussage über seine Gewaltbereitschaft gemacht habe. “Ja”, sagt B. Er habe deshalb eine Anzeige bei der Polizei gemacht, mehrfach nachgefragt, was daraus geworden sei. M. habe gesagt, er habe sie geschlagen. Aber er habe nie geschlagen. “Ich habe weder Frauen noch Männer geschlagen”, sagt B.
Malek gibt eine Erklärung nach 257StPO ab: “Der Plan, so kriminell und dilettantisch er auch sei, war in sich logisch.” Sein Mandant habe gemeint, dieser Plan würde aufgehen. “Ich sage das nur deshalb, weil hier Fragen gekommen sind, die nicht logisch sind.”
10.55 Uhr: “Wir nähern uns dem Tatgeschehen am 28.7. – Was ist passiert?”, fragt die Richterin. Stockend erzählt B., er habe sich entschlossen, Noah nach Algerien zu entführen. Er habe Reservierungen in Straßburg gemacht, um von Basel nach Algerien zu fliegen. Er habe in Frankfurt ein Visum für ihn beantragen wollen, das alte sei abgelaufen gewesen, die Reservierung habe er deswegen nicht bestätigt. “Ich habe alles vorbereitet”, sagt B. “Ich habe immer im Voraus für ihn Kleidung gekauft und Schuhe.” Er habe Anne M. unter Druck setzen und sie zwingen wollen, in die Wohnung nach Freiburg zu kommen und dann mit Noah nach Algerien fliegen wollen. “Direkt konnten Sie nicht mit ihm weg. Sie hatten keine Flüge und keine Ausweispapiere?”, fragt die Richterin.
B. erzählt, er habe mit Noah nach Straßburg fahren wollen, dort seien in einer gemieteten Garage Sachen von Noah deponiert gewesen. Von dort habe er mit dem Zug nach Paris fahren wollen, um von dort einen Flug nach Algerien zu nehmen. Richterin Kleine-Cosack: “Wie hätte das mit den Papieren für Noah funktionieren sollen?” “Er hatte einen Pass und ein Visum drauf”, sagt B., man hätte das Visum auch vor Ort in Algerien verlängern lassen können. Bei kleinen Kindern würde es da keine Schwierigkeiten geben. “Wann haben Sie den Entschluss gefasst?”, fragt die Richterin. “In der Woche”, sagt B. “Wollten Sie mit Noah in Algerien bleiben?” “Ja, für immer.” Seiner Frau und seinen Verwandten habe er das jedoch nicht erzählt.
“Jetzt ist es ja nicht so gekommen”, sagt Richterin Kleine-Cosack. “Wenn Sie können, erzählen Sie, was passiert ist.” B. beginnt wieder zu schluchzen, seine Aussage wird wieder schwerer verständlich, als er erzählt, dass die beiden Autos im Hof kollidiert seien. “Ich wollte der Anne nichts tun”, sagt er, laut weinend und erstmals nur den Vornamen seiner ehemaligen Lebensgefährtin benutzend. “Ich habe sie nicht gehasst. Ich habe versucht sie unter Druck zu setzen. Ich habe versucht, die Tür aufzumachen”, sagt er. “Hatten Sie was in der Hand?”, will die Richterin wissen. “Ich hatte das Messer versteckt in meiner Jacke, ich habe das rausgeholt, als die Tür nicht aufging.” B. erzählt stockend, wie er versucht habe, die Scheiben des Autos einzuschlagen, es ihm bei der Heckscheibe des Autos gelang, er aber nicht ins Auto klettern konnte. “Dann habe ich die hintere Beifahrerseite eingeschlagen, da konnte ich rein”, sagt B. “Die Anne saß auf der Fahrerseite, ich war noch nicht ganz drin, sie hat mich getreten, ich habe mich gedreht und habe meinen Arm gestreckt und ich weiss nicht, ob ich sie da schon verletzt habe. Sie ist auf die Beifahrerseite gesprungen und hat mich weiter getreten. Dann habe ich auf sie eingestochen und weitergestochen.” “Haben Sie was gesagt dabei?”, fragt die Vorsitzende Richterin. “Ich weiß es nicht mehr.” Kleine-Cosack fragt, wie genau er ins Auto kam, doch B. kann nicht kohärent antworten. “Anne hat das nicht verdient. Sie hat immer eine Ausrede für mich gefunden”, sagt B. und weint wieder laut. “Es tut mir leid.” “Ich war überrascht von dem Widerstand, ich habe damit nicht gerechnet. Ich weiß nicht, warum ich das gemacht habe.” Nasr-Eddine B. über die Tat
“Schaffen Sie es, sich zu beruhigen?”, fragt Richterin Kleine-Cosack in ruhiger Art nach. “Versuchen Sie es. Wenn Sie Details nicht berichten können, akzeptieren wir das. Wir versuchen herauszufinden, was am 28.7. passiert ist.” Draußen habe man ein zweites Messer gefunden. “Haben Sie zwei Messer mitgenommen?” “Das weiß ich nicht mehr.” Die Richterin rekapituliert: “Sie haben drei Scheiben eingeschlagen, welchen Plan haben Sie denn gehabt? Immer noch, beide nach Zähringen zu bringen?” “Ich habe mit dem Widerstand von Anne nicht gerechnet, ich war überrascht, dass sie sich so gewehrt hat”, sagt B. Er habe sie am Lenkrad mit Handschellen fesseln wollen. Sie habe mit ihrem Auto nach Zähringen fahren sollen. Noah habe “Papa, Papa!” gerufen.
“Herr B., Sie haben gesagt, Sie hatten nicht vor, Anne etwas zu tun, aber auch wenn Sie das vorher nicht wollten, haben Sie es getan”, sagt die Vorsitzende Richterin. “Können Sie irgendwas dazu sagen, was der Auslöser war, dass Sie den ersten Stich auf die Anne gerichtet haben?” “Sie hat sich gedreht und mich getreten. Ich habe mich gewehrt. Ich weiß nicht, ob ich sie da schon getroffen habe.” Die Richterin: “Und dann haben Sie weitergestochen, aber warum?” “Ich war überrascht von dem Widerstand, ich habe damit nicht gerechnet. Ich weiß nicht warum ich das gemacht habe. Ich habe sie nicht gehasst.” B. weint wieder laut, stützt den Kopf in die Hände.
Während der gesamten Aussage des Angeklagten sind die Eltern von Anne M. ruhig und gefasst, hören aufmerksam zu. Blättern in Akten, wenden sich ihren Anwälten zu.
Richterin Kleine-Cosack versucht, den emotionalen Ausbruch des Angeklagten zu durchbrechen. “Können Sie sagen, wie oft Sie zugestochen haben?” “Ich weiß es nicht. Zehn, zwanzig oder fünfzig Mal oder ein Mal”, sagt B. laut weinend.
Richterin Kleine-Cosack unterbricht die Verhandlung noch einmal für zehn Minuten. “Macht es Sinn, ihm etwas zur Beruhigung zu geben?”, fragt sie in Richtung des psychiatrischen Gutachters. “Er steigert sich da jetzt in einen Zustand rein.”
10.10 Uhr Die Verhandlung beginnt wieder. Richterin Eva Kleine-Cosack erklärt, dass eine Verständigung stattgefunden habe und dass die Angaben des Angeklagten zur Person im Rahmen der Aussage des Sachverständigen in der Regel erfolgen und von B. gegebenenfalls ergänzt werden solle. Nasr-Eddine B. solle dann jetzt zur Sache aussagen und mit dem Auszug von Anne M. im Mai 2017 beginnen. B. will aber noch mehr zur Beziehung aussagen, fängt an, vom Beginn der Beziehung mit Anne M. 2009 zu erzählen. Er habe Anne M. Bei einer beruflichen Ausbildung in Heidelberg kennengelernt, man habe gemeinsam gelernt. “Frau M.” nennt B. in seiner Aussage seine ehemalige Lebensgefährtin und die Mutter seines Sohnes mit vollem Nachnamen. Später nennt er sie mit Vor- und Nachnamen. Damals habe er auch die Mutter von Anne M. kennengelernt. Die habe sich bei der ersten Begegnung darüber aufgeregt, dass er ein Cap getragen habe. “Das ist von Anfang an schiefgegangen”, sagt B. Auch im Gespräch seien Spannungen aufgekommen. B. erzählt von angeblichen innerfamiliären Problemen der Familie M. und geht sehr ins Details über die Beziehung der Eltern.
“Es geht hier um ein Verfahren gegen Sie, Herr B.”, unterbricht ihn Staatsanwalt Tomas Orschitt. “Es geht um den Mordvorwurf Ihnen gegenüber, es geht nicht um die Beziehung der Eltern Ihrer Lebensgefährtin. Gehört das noch zur Sache?” Verteidiger Klaus Malek erklärt, dass auch Spannungen mit den Eltern Teil der Beziehungsproblematik gewesen seien. “Es ist sein Recht, sich zu äußern.” Richterin Kleine-Cosack greift ein: “Es wird dieses Verfahren sprengen, wenn Sie minutiös die Beziehung mit Anne M. nachzeichnen wollen”, sagt sie. “Bringen Sie die Geschehnisse auf den Punkt.”
Auch Nebenklagevertreter Fenn äußert sich: “Es ist auch daran zu denken, dass die Eltern, die hier Nebenkläger sind, nicht auf die Anklagebank gebracht werden sollen.” Nasr-Eddine B. verteidigt sich. Die Eltern “gehören zur Familie und gehören zum Streit”, es sei wichtig, das zu erzählen.
Richterin Kleine-Cosack will B. helfen, die Aussage zu strukturieren. “War das die große Liebe?” B. spricht jetzt sehr laut, immer noch sehr emotional. “Wir haben uns geliebt.” Man habe schnell zusammen konkrete Pläne gemacht. Das Paar hätte in Heidelberg “geheiratet”, zwar nicht standesamtlich, aber emotional. Auch in Freiburg in der Moschee habe man später geheiratet. “Haben Sie geplant, gemeinsame Kinder zu haben?”, fragt die Richterin. “Nein, das haben wir nicht geplant”, sagt B., und beginnt wieder zu weinen. Er habe ausdrücklich gesagt, dass er keine Kinder mehr haben wolle. “Wie kam es dann, dass Frau M. schwanger wurde mit Noah?”, fragt die Vorsitzende Richterin. Anne M. habe verhütet, er habe aber später eine Verhärtung am Bauch bemerkt und sie gebeten, zum Arzt zu gehen, sich gesorgt, dass sie krank sei. “Als klar war, dass sie ein Baby bekommt, wie war dann Ihre Einstellung?”, fragt Kleine-Cosack. “Das kann nur Gottes Geschenk sein”, habe er gesagt, weil Noah gekommen sei, obwohl man verhütet habe. Zwei Wochen nach der Feststellung der Schwangerschaft sei Noah schon geboren worden. B. beginnt wieder heftig zu weinen, spricht kaum verständlich. Richterin Kleine-Cosack will wissen, ob Anne M. sich über das Kind gefreut habe. “Frau M. war nicht glücklich”, sagt Nasr-Eddine M. Sie habe ohnehin nie so richtig Gefühle gezeigt.
Richterin Kleine-Cosack will wissen, wie die Beziehung sich nach der Geburt mit Noah entwickelt habe. “Es muss ja Probleme gegeben haben, sie ist ja im Frühjahr 2017 ausgezogen”, sagt sie. “Spannungen haben verschiedene Gründe”, sagt der Angeklagte, durchaus aufmüpfig. Sie habe die Wohnung umgestellt, er sei krank gewesen, habe operiert werden müssen und sei beruflich nicht weitergekommen. Richterin Kleine-Cosack versucht zu ergründen, wie und wann der Angeklagte nach der Geburt des Sohnes gearbeitet hat. B. erzählt unsortiert von verschiedenen Arbeitsstellen als Pfleger, Arbeit im Drei-Schicht-Dienst, der Arbeit bei einem Pflegedienst. “Im letzten Jahr, bevor das passiert ist, haben Sie aber nicht mehr gearbeitet?”, fragt Kleine-Cosack. 2015, 2016 und 2017 habe B. aus gesundheitlichen Gründen nicht gearbeitet. “Warum ist Frau M. denn dann ausgezogen?”, fragt die Vorsitzende Richterin. “Ich habe mich Ende 2015 getrennt”, sagt B. “Sie sind aber zusammen geblieben?”, fragt die Richterin. “Wir wollten Noah dran gewöhnen an die Trennung”, sagt Nasr-Eddine B. Man habe getrennt gelebt in der gemeinsamen Wohnung. “Wir haben dann abgemacht dass derjenige, der eine Wohnung findet, auszieht”, sagt B. “Wann haben Sie konkret erfahren, dass Frau M. auszieht?”, fragt die Richterin. “Am Tag davor habe ich zufällig davon erfahren”, sagt der Angeklagte. Er habe einen Rucksack gefunden mit Sachen von ihr und Noah. Da habe sie plötzlich gesagt: “Ich will ausziehen.”
“Wie erklären Sie sich denn, dass Frau M. Ihnen das nicht gesagt hat?”, fragt die Richterin. Das könne er sich nicht erklären, sagt der Angeklagte. “Hat Sie das nicht gewundert?” “Im Nachhinein kann ich nicht verstehen, warum sie das nicht gesagt hat”, sagt der Angeklagte. Er habe ihr gesagt, sie könne ausziehen. “Sie wissen, dass die Frau M. das etwas anders darstellt?”, fragt Richterin Kleine-Cosack. “Das stimmt nicht.” B. fängt an zu sprechen. “Sie hat gesagt, sie nimmt Noah mit, da habe ich gesagt, ’Du kannst Noah nicht mitnehmen einfach so’.” Er habe sie nicht bedroht. Die Polizei sei gekommen. “Sie hat gesagt, wenn ich sie nicht mit Noah gehen lasse, rufe sie die Polizei.” Das sei dann auch so gewesen.
“Wie war denn der Kontakt danach?”, will die Richterin wissen. Man habe sich nicht mehr gesehen, nicht mehr getroffen, keine Mitteilungen geschrieben, kein WhatsApp. “Ich wollte sie nicht drängen”, sagt B. “Warum sollte ich ihr hinterherlaufen?” Anne M. habe sich auch nicht bei ihm gemeldet. “Wann haben Sie erfahren wohin Frau M. gezogen ist?”, fragt die Richterin. “Im Juli”, sagt B. Er sei beim Jugendamt gewesen, das habe ihm keine Auskunft gegeben. “Ich bin nicht der Typ, der drängen und hinterher muss”, sagt er, “ich habe das nie getan.”
“Sie hatten also nicht keinen Kontakt mehr, weil Sie ein Annäherungsverbot hatten, sondern weil Sie es sowieso nicht wollten?”, fragt die Vorsitzende Richterin. B. schluchzt wieder, sagt, es sei kein Problem gewesen. Richterin Kleine-Cosack will wieder wissen, woher der Angeklagte wusste, wo Anne M. und Noah wohnten. Nasr-Eddine B. schluchzt wieder laut auf.“Das habe ich beim Jugendamt erfahren.” Der Angeklagte auf die Frage, woher er den Wohnort seiner Ex-Freundin kannte
“Vielleicht etwas, das für Sie weniger belastend ist: Im Sommer 2017 haben Sie geheiratet?” fragt Kleine-Cosack. B. erklärt, er habe seine Cousine geheiratet, die sich gut um seine Mutter gekümmert habe. Eine sexuelle Beziehung habe es nicht gegeben. Die Richterin: “Warum haben Sie sie dann geheiratet? Dachten Sie, das bringt Ihnen Vorteile für das Sorgerecht von Noah?” “Ja”, sagt B. “Wenn man alleine lebt, ist es immer schwierig.” Der Plan sei gewesen, dass die Cousine nach Deutschland ziehen werde. Sie habe bereits angefangen, deutsch zu lernen, jedoch nicht gewusst, dass B. sich von Anne M. getrennt habe.
“Wir kommen nicht drumherum: Wie sind Sie darauf gekommen, wo Anne M. lebt?”, will Kleine-Cosack abermals wissen. “Das habe ich beim Jugendamt erfahren”, sagt B. Allerdings nicht die Adresse, sondern nur Teningen. “Wie haben Sie die Anschrift herausgefunden?”, fragt Richterin Kleine-Cosack. “Ich habe ein Auto gemietet und bin im Ort gelaufen und habe Frau M. abends getroffen, habe sie verfolgt und gesehen, wo sie wohnt”, erzählt B. Das sei zwei, drei Wochen vor der Tat gewesen. “Haben Sie sie beobachtet, auch weil Sie Noah sehen wollten?”, fragt die Richterin. “Ich habe festgestellt, dass er zehn Stunden in der Kita war, das hat mich aufgeregt, damit war ich nicht einverstanden”, sagt B. und schluchzt wieder laut auf. “Einmal hatten Sie begleiteten Umgang mit Noah”, sagt die Vorsitzende Richterin. “Das war nicht ganz einfach, dass es dazu kam. Der Kinderschutzbund hat das organisiert und da gab es personelle Probleme. Wie war das an dem 20.7? Das war drei Monate, dass Sie Noah nicht gesehen hatten.” B. schluchzt wieder laut auf, spricht kaum verständlich, weint sehr laut auf. Eine Stunde habe man gemeinsam gespielt.
B. bricht schluchzend zusammen. Richterin Kleine-Cosack unterbricht die Verhandlung noch einmal für zehn Minuten. Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage wegen Mordes
9 Uhr: Uhr Im Saal IV des Landgericht Freiburg in der Salzstraße beginnt am heutigen Mittwochmorgen der Prozess gegen Nasr-Eddine B. Der heute 53-Jährige wird an Händen und Füssen gefesselt in den Gerichtssaal gebracht. Er hat sich das Oberteil seines blauen Jogginganzugs über den Kopf gezogen, damit sein Gesicht nicht fotografiert wird. Er wird durch seinen Pflichtverteidiger Klaus Malek vertreten, neben ihm sitzt ein Übersetzer. Für die Staatsanwaltschaft verhandelt Tomas Orschitt. Vorsitzende Richterin ist Eva Kleine-Cosack. Als Nebenkläger treten die Mutter und der Vater von Opfer Anne M. auf: Der Vater wird durch den Anwalt Rudolf Fenn vertreten, ihre Mutter durch den Freiburger Michael Moos. Insgesamt 22 Zeugen hat das Landgericht für die acht Verhandlungstage geladen. Nur wenige Zuhörer sind gekommen: weniger als zwei Dutzend Bürgerinnen und Bürger und Pressevertreter sitzen im Saal.
“Ich eröffne das Verfahren”, beginnt Richterin Eva Kleine-Cosack die Verhandlung und beginnt nach der Feststellung der Anwesenheit mit der Befragung des Angeklagten. Nasr-Eddine B. beantwortet die Fragen der Richterin zu seinen Personalien.
Staatsanwalt Tomas Orschitt trägt die Anklage vor. Die Staatsanwaltschaft legt Nasr-Eddine B. folgenden Sachverhalt zur Last: Am 28. Juli 2017 saß die damals 39-jährige Anne M. mit ihrem vierjährigen Sohn Noah im Auto und fuhr aus der Tiefgarage ihres Wohnhauses in Teningen. Der Angeklagte soll mit einem gemieteten Carsharing-Auto zunächst das Auto von Anne M. gerammt haben und ihr im Hof des Anwesens den Weg versperrt haben, so dass sie nicht weiterfahren konnte.“Papa, nein, Papa, nein.” Noah M. laut Zeugenaussagen während der Tat
Der Angeklagte sei ” fest entschlossen” gewesen, sowohl Anne M. als auch den gemeinsamen Sohn Noah “in der für beide überraschend herbeigeführten hilflosen Lage mit zwei eigens hierfür mitgeführten Messern zu töten”, so der Staatsanwalt. Weil das Auto verschlossen war, habe B. versucht die Fahrerscheibe einzuschlagen. Das sei ihm nicht gelungen. Dann habe er die Heckscheibe eingeschlagen und versucht, so ins Auto zu klettern. Auch das sei ihm nicht gelungen. Daraufhin habe er auf der Beifahrerseite eine Scheibe eingeschlagen und sofort begonnen, durch das Fenster zu klettern und auf Anne M. einzustechen. Er traf sie unter anderem im Hals. Dann wendete er sich seinem Sohn auf dem Rücksitz zu. Der, so der Staatsanwalt, habe mehrfach “Papa, nein, Papa, nein” gerufen, doch B. habe ohne zu Zögern auf das Kind eingestochen, das Messer schließlich im Kind stecken lassen, sich des zweiten Messers entledigt und sei dann vom Tatort in dem Carsharing-Auto geflohen. Auf der Flucht sei er nach einer kurzen Verfolgungsfahrt auf der B3 von Polizeibeamten festgenommen worden.
Anwohner und Zeugen hatten schnell Notrufe abgesetzt, aber Anne M. und ihr Sohn verstarben trotz Reanimationsmaßnahmen in der Klinik an den schweren Stichverletzungen.
Orschitt listet die Verletzungen auf: acht Stichwunden, vier im Oberkörper und Bauch, aber auch im Hals, der Mittelbauch und Arm und Bein hätten Verletzungen vorgewiesen. Noah habe zwei Stichverletzungen im Brustkorb erlitten, die Aorta und Herz verletzt hätten. Während Tomas Orschitt seine Anklage verliest, weint Nasr-Eddine B. laut hörbar, nimmt seine Brille ab und wischt sich die Augen. Die Eltern von Anne M. sitzen ihm mit beeindruckender Gefasstheit gegenüber.
“Der Angeklagte führte die Tötung seiner ehemaligen Lebensgefährtin aus Rache dafür aus, dass Anne M. sich von ihm getrennt und erst wenige Wochen vor der Tat mit Noah aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen war”, liest Orschitt vor. Zudem sei er erbost gewesen, weil sie in einem Gewaltschutzverfahren angegeben hätte, dass er sie mit dem Tod bedroht habe und er in Folge dessen nur noch eingeschränkt Umgang mit dem Sohn haben durfte. Damals habe der Angeklagte Anne M. gesagt: “Das Ganze wird für dich blutig enden. Ich werde dich schlagen und umbringen. Du wirst Dein Kind nie wieder sehen. Ich werde deiner Familie schaden.”
Er schließt mit dem konkreten Vorwurf der Staatsanwaltschaft: “Der Angeklagte wird daher beschuldigt, in zwei rechtlich selbständigen Handlungen heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen jeweils einen Menschen getötet zu haben und, durch eine weitere selbständige Handlung, einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn gerichteten Verbrechens bedroht zu haben.” Diese Tat sei strafbar als Mord in zwei Fällen in Tatmehrheit mit Bedrohung. “Ich möchte etwas sagen.” Nasr-Eddine B.
“Herr B., Sie brauchen keine Angaben zu machen, weder zur Person, noch zur Sache”, erklärt Richterin Kleine-Cosack und fragt: “Wie wollen Sie es halten?” “Ich möchte etwas sagen”, sagt Nasr-Eddine B., mit vom Weinen verzerrter Stimme. Man verständigt sich, dass B. versuchen wird, zunächst ohne Übersetzer auszukommen. “Sobald es schwierig wird, melden Sie sich”, sagt Richterin Kleine-Cosack.
Der Angeklagte beginnt, sehr emotional, mit hoher, nasaler Stimme. “Ich möchte vorher etwas aussagen”, sagt B. “Ich alle bin in Verantwortung für das Geschehen.” B. spricht kaum verständlich und weinend, schlägt seine Hände immer wieder vor dem Gesicht. “Ich möchte um Vergebung bitten. Ich möchte um Verzeihung bitten.” Er habe gelesen, dass in der Zeitung gestanden habe, dass es sich um ein “kulturelles Problem” gehandelt habe. Dem sei aber nicht so gewesen. “Es war ein zwischenmenschliches Problem.”
Dann beginnt er die Aussage zu seiner Person, beschreibt seine Kindheit und Familie. “Meine Mutter wurde schon von meinem Vater schlecht behandelt.” Nasr-Eddine B. kann kaum verständlich aussagen. Sein Verteidiger Klaus Malek fragt ihn, ob er eine Pause braucht, um sich zu fangen, und noch einmal zu beginnen, doch B. will weitersprechen. B. sagt weiter aus, aber ist kaum verständlich.
Staatsanwalt Tomas Orschitt unterbricht die Aussage. “Ich kann nur verstehen, weil ich mitlese”, sagt der Staatsanwalt. “Was schlagen Sie vor?”, fragt Kleine-Cosack? Die Aussage solle doch ein wenig strukturiert werden. Dann wird die Verhandlung für zehn Minuten unterbrochen.
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